Der Zusammenhang zwischen Sprache und Denken ist ein zentrales
Thema der Sprachphilosophie. Wie stark beeinflusst die Sprache, die wir
sprechen, die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen? Gibt es so etwas wie
ein Denken ausserhalb der Sprache? Das sind Fragen, die abschliessend zu
beantworten nicht Gegenstand dieses Textes sein soll. Dennoch eröffnen sie den
Blick auf ein interessantes Feld: Wenn man sowohl Religion als auch
Wissenschaft mit Texten verschiedener Sprachen gleichsetzt, stellt sich
unweigerlich die Frage, inwiefern diese Sprachen die Wahrnehmung unserer Welt
beeinflussen - es stellt sich nicht nur die Frage: Was machen wir mit diesen Sprachen? Sondern ebenfalls,
was diese Sprachen mit uns machen.
Jeder, der mehr als eine Sprache spricht, erkennt, dass
verschiedene Sprachen unterschiedliche Vorgehensweisen haben, ein und denselben
Sachverhalt auszudrücken. Natürlich gibt es auch innerhalb der einzelnen
Sprachen verschiedene Möglichkeiten, sich auszudrücken, aber dennoch gibt es
Unterschiede in den Sprachstrukturen, die weit über simple Umformulierungen
hinausgehen, und der Unterschied liegt nicht primär in dem was gesagt werden kann, sondern darin, was gesagt werden muss. Ein simples Beispiel ist die
Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Personen in der Deutschen
Sprache: Es gibt nur wenige
Möglichkeiten, den Zwang zur Nennung des Geschlechtes zu umgehen, und
diejenigen, die existieren, wirken oft holprig und dadurch verdächtig. Im
Englischen hingegen kann man ohne weiteres von Personen sprechen, ohne dass
deren Geschlecht genannt werden müsste - es ist zwar durchaus möglich dies zu
tun, aber der Wert des Gesagten unterscheidet sich dennoch vom entsprechenden
Ausdruck im Deutschen, weil es keine obligatorische, sondern eine aus
bestimmten Gründen zu bestimmten Zwecken freiwillig gegebene Information ist.
Bedenkt man dies, so ist absolut klar, dass ein und derselbe Sachverhalt in
verschiedenen Sprachen anders geschildert wird, ohne dass einer der beiden
Sprachen vollständiger, präziser, besser
sei. Vielleicht unterscheidet sich der Informationsgehalt der einzelnen Sätze erheblich,
nichtsdestotrotz kann im Grunde genommen jede Sprache alles ausdrücken.
Wenn man jetzt also ein Ereignis in verschiedenen Sprachen
benennt, so wird man sicherlich feststellen, dass gewisse Informationen
anscheinend wichtig genug sind um in allen Sprachen benannt zu werden - aber man wird auch feststellen,
dass viele der Informationen, die für uns unabdinglich erscheinen, in anderen
Sprachen fehlen, während andere Sprachen Aspekte hervorheben - hervorheben müssen - die als solche niemals in
unseren Blickwinkel geraten wären. Man kann also sagen, dass man durch die
Betrachtung eines Ereignisses durch möglichst viele Sprachen hindurch ein Bild
erhält, das in seiner Qualität immer facettenreicher ist als ein in einer
einzelnen Sprache möglichst umfassend beschriebenes Ereignis. Und durch dieses
Erfassen verschiedenster Facetten erhält man auch einen grösseren Abstand zu
diesem Ereignis, ein von der Sprache losgelöstes Bild, eine über Umwege
direktere Erfahrung.
Aber wir können nicht nur etwas über die Welt ausserhalb der
Sprache erfahren, sondern auch über die Sprache selber und somit über denjenigen,
die die Sprache benutzt. Das Verständnis der internen Strukturen der Sprache
und deren Vor- und Nachteile kann ebenfalls im Spiegel einer anderen Sprache
vertieft und somit auf einer grundlegenderen Ebene erfahren werden, was wieder
einen Abstand zwischen dem Sprecher und der Sprache hervorbringt, und durch
diesen Abstand eine Relativierung der - und möglicherweise Absolution von - Sprache.
Dieselben Gedankengänge lassen sich nun auch auf die
Wissenschaft und die Religion übertragen: Davon ausgehend, dass sie beide
dasselbe beschreiben möchten, lässt sich die Welt in der wir leben umfassender,
vielfältiger verstehen, wenn wir mehr als eines davon zu Rate ziehen; in der
Spannung zwischen den Feldern liegt die Erkenntnis, die sich wiederum auf die
Methoden der Wissenschaft und der Religion auswirkt. Auch hier kann man den
Vergleich der Sprache weiter strapazieren: Neben gewissen sprachinhärenten
Mechanismen sind die Entlehnung sowohl von Vokabular als auch von Strukturen - notabene
oft aufgrund von Umbrüchen in den Strukturen der Macht - grundlegende Motoren der Veränderungen von
Sprache, was dazu führt, dass sich die Sprachen immer wieder annähern und
wieder voneinander entfernen, aber niemals eins werden, weil sich die Vielfalt
der Menschen in der Vielfalt der Sprachen spiegelt. Um das am Beispiel der Idee
des Intelligent Designs etwas zu konkretisieren:
Nur weil die Religion das Vokabular der Wissenschaft entlehnt, kann man diese
Idee noch lange nicht als wissenschaftlich bezeichnen, weil die Strukturen, die
sie verwendet, religiös bleiben - Japanisch wird nicht zu Deutsch, bloss weil
man jedes japanische Wort durch sein deutsches Pendant ersetzt. Und auch wenn
man einzelne Strukturen der Wissenschaft in die Sprache der Religion entlehnt,
heisst es nicht, dass die Sprache der Religion dem Untergang geweiht oder unnötig ist: Sie erfüllt nach wie vor,
in all ihrer Entwicklung, über eine nicht zu ersetzende Funktion: Als Brille,
als Spiegel.
Natürlich muss man auch in Erinnerung behalten, dass jede
Sprache zur Lüge imstande ist, dass also nicht jede Aussage tatsächlich dazu
geeignet ist, die Welt besser zu verstehen, und dass in jeder Sprache
Verwirrung gestiftet werden kann. In Anbetracht der Tatsache, dass im Namen der
Religionen sehr viel Übel geschieht und geschehen ist, und dass die
Hinterfragung einzelner Aspekte der Religionen oft als Bedrohung der ganzen
Religion empfunden wird - mit Folgen, die zu erwähnen hier nicht vonnöten ist -
ist grosse Skepsis gegen die internen, oftmals statischen und dadurch nicht
mehr nachvollziehbaren Strukturen vieler Religionen mehr als angebracht. Wogegen ich mich aussprechen möchte, ist,
dass Wissenschaft als solche tatsächlich besser geeignet sei um Wahrheit zu
ergründen. Nishi Amane verortet das Wissen in den Bereich der Vernunft, den
Glauben in das Reich der Religion, und sieht das Wissen als überlegen und somit
als universellen Massstab an. Von einer anderen Seite betrachtet könnte man
aber durchaus behaupten, dass das Wissen, das die auf Vernunft basierende
Wissenschaft schafft, ja auch nur deswegen als der Wahrheit näher liegend
betrachtet wird, weil die Prämissen, aus denen sich diese Methoden der
Wahrheitsergründung entwickelt habe, als prestigeträchtiger erwiesen haben.
Warum dem so ist würde jedoch einer eingehenden Betrachtung benötigen und hier den
Rahmen bei weitem sprengen.
Möglicherweise eignet
sich die Wissenschaft aufgrund ihrer internen Struktur tatsächlich besser als
Lingua Franca, aber ebenso wie man nicht vergessen darf, dass auch die
Vorherrschaft des Englischen nicht losgelöst vom Politischen zu betrachten ist,
so darf man das Politische bei der Betrachtung der Wissenschaft nicht aus den
Augen verlieren. Und ebenso, wie die Sprachwissenschaft danach trachtet, im
Dienste der Wahrheitsfindung möglichst viele Sprachen zu kennen, zu verstehen
und am Leben zu erhalten, sowie die Entstehung neuer Sprachen zu erforschen und
losgelöst vom Stigma der Häresie als Wissensquelle zu betrachten, so sollten
auch die Sprachen der Wissenschaft und der Religion, sowie der Politik (denn
auch Kontext ist ein Text, und ein Text hat eine Sprache!) und all der anderen
Sprachen - wie auch in der Linguistik scheint man oft zu vergessen, dass es
neben den grossen Sprachen wie Englisch, Französisch, Arabisch und Chinesisch
noch Unmengen von Dialekten und Sprachfamilien gibt - sich auf das Potenzial
berufen, das in den Unterschieden steckt, und nicht danach trachten, einander
die Köpfe einzuschlagen.
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