Tuesday, July 10, 2012

Religion und Wissenschaft: "Through The Language Glass"


Der Zusammenhang zwischen Sprache und Denken ist ein zentrales Thema der Sprachphilosophie. Wie stark beeinflusst die Sprache, die wir sprechen, die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen? Gibt es so etwas wie ein Denken ausserhalb der Sprache? Das sind Fragen, die abschliessend zu beantworten nicht Gegenstand dieses Textes sein soll. Dennoch eröffnen sie den Blick auf ein interessantes Feld: Wenn man sowohl Religion als auch Wissenschaft mit Texten verschiedener Sprachen gleichsetzt, stellt sich unweigerlich die Frage, inwiefern diese Sprachen die Wahrnehmung unserer Welt beeinflussen - es stellt sich nicht nur die Frage:  Was machen wir mit diesen Sprachen? Sondern ebenfalls, was diese Sprachen mit uns machen. 

Jeder, der mehr als eine Sprache spricht, erkennt, dass verschiedene Sprachen unterschiedliche Vorgehensweisen haben, ein und denselben Sachverhalt auszudrücken. Natürlich gibt es auch innerhalb der einzelnen Sprachen verschiedene Möglichkeiten, sich auszudrücken, aber dennoch gibt es Unterschiede in den Sprachstrukturen, die weit über simple Umformulierungen hinausgehen, und der Unterschied liegt nicht primär in dem was gesagt werden kann, sondern darin, was gesagt werden muss. Ein simples Beispiel ist die Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Personen in der Deutschen Sprache:  Es gibt nur wenige Möglichkeiten, den Zwang zur Nennung des Geschlechtes zu umgehen, und diejenigen, die existieren, wirken oft holprig und dadurch verdächtig. Im Englischen hingegen kann man ohne weiteres von Personen sprechen, ohne dass deren Geschlecht genannt werden müsste - es ist zwar durchaus möglich dies zu tun, aber der Wert des Gesagten unterscheidet sich dennoch vom entsprechenden Ausdruck im Deutschen, weil es keine obligatorische, sondern eine aus bestimmten Gründen zu bestimmten Zwecken freiwillig gegebene Information ist. Bedenkt man dies, so ist absolut klar, dass ein und derselbe Sachverhalt in verschiedenen Sprachen anders geschildert wird, ohne dass einer der beiden Sprachen vollständiger, präziser, besser sei. Vielleicht unterscheidet sich der Informationsgehalt der einzelnen Sätze erheblich, nichtsdestotrotz kann im Grunde genommen jede Sprache alles ausdrücken.

Wenn man jetzt also ein Ereignis in verschiedenen Sprachen benennt, so wird man sicherlich feststellen, dass gewisse Informationen anscheinend wichtig genug sind um in allen Sprachen benannt  zu werden - aber man wird auch feststellen, dass viele der Informationen, die für uns unabdinglich erscheinen, in anderen Sprachen fehlen, während andere Sprachen Aspekte hervorheben - hervorheben müssen - die als solche niemals in unseren Blickwinkel geraten wären. Man kann also sagen, dass man durch die Betrachtung eines Ereignisses durch möglichst viele Sprachen hindurch ein Bild erhält, das in seiner Qualität immer facettenreicher ist als ein in einer einzelnen Sprache möglichst umfassend beschriebenes Ereignis. Und durch dieses Erfassen verschiedenster Facetten erhält man auch einen grösseren Abstand zu diesem Ereignis, ein von der Sprache losgelöstes Bild, eine über Umwege direktere Erfahrung.

Aber wir können nicht nur etwas über die Welt ausserhalb der Sprache erfahren, sondern auch über die Sprache selber und somit über denjenigen, die die Sprache benutzt. Das Verständnis der internen Strukturen der Sprache und deren Vor- und Nachteile kann ebenfalls im Spiegel einer anderen Sprache vertieft und somit auf einer grundlegenderen Ebene erfahren werden, was wieder einen Abstand zwischen dem Sprecher und der Sprache hervorbringt, und durch diesen Abstand eine Relativierung der - und möglicherweise Absolution von -  Sprache.

Dieselben Gedankengänge lassen sich nun auch auf die Wissenschaft und die Religion übertragen: Davon ausgehend, dass sie beide dasselbe beschreiben möchten, lässt sich die Welt in der wir leben umfassender, vielfältiger verstehen, wenn wir mehr als eines davon zu Rate ziehen; in der Spannung zwischen den Feldern liegt die Erkenntnis, die sich wiederum auf die Methoden der Wissenschaft und der Religion auswirkt. Auch hier kann man den Vergleich der Sprache weiter strapazieren: Neben gewissen sprachinhärenten Mechanismen sind die Entlehnung sowohl von Vokabular als auch von Strukturen - notabene oft aufgrund von Umbrüchen in den Strukturen der Macht  - grundlegende Motoren der Veränderungen von Sprache, was dazu führt, dass sich die Sprachen immer wieder annähern und wieder voneinander entfernen, aber niemals eins werden, weil sich die Vielfalt der Menschen in der Vielfalt der Sprachen spiegelt. Um das am Beispiel der Idee des Intelligent Designs etwas zu konkretisieren: Nur weil die Religion das Vokabular der Wissenschaft entlehnt, kann man diese Idee noch lange nicht als wissenschaftlich bezeichnen, weil die Strukturen, die sie verwendet, religiös bleiben - Japanisch wird nicht zu Deutsch, bloss weil man jedes japanische Wort durch sein deutsches Pendant ersetzt. Und auch wenn man einzelne Strukturen der Wissenschaft in die Sprache der Religion entlehnt, heisst es nicht, dass die Sprache der Religion dem Untergang geweiht  oder unnötig ist: Sie erfüllt nach wie vor, in all ihrer Entwicklung, über eine nicht zu ersetzende Funktion: Als Brille, als Spiegel.

Natürlich muss man auch in Erinnerung behalten, dass jede Sprache zur Lüge imstande ist, dass also nicht jede Aussage tatsächlich dazu geeignet ist, die Welt besser zu verstehen, und dass in jeder Sprache Verwirrung gestiftet werden kann. In Anbetracht der Tatsache, dass im Namen der Religionen sehr viel Übel geschieht und geschehen ist, und dass die Hinterfragung einzelner Aspekte der Religionen oft als Bedrohung der ganzen Religion empfunden wird - mit Folgen, die zu erwähnen hier nicht vonnöten ist - ist grosse Skepsis gegen die internen, oftmals statischen und dadurch nicht mehr nachvollziehbaren Strukturen vieler Religionen mehr als angebracht.  Wogegen ich mich aussprechen möchte, ist, dass Wissenschaft als solche tatsächlich besser geeignet sei um Wahrheit zu ergründen. Nishi Amane verortet das Wissen in den Bereich der Vernunft, den Glauben in das Reich der Religion, und sieht das Wissen als überlegen und somit als universellen Massstab an. Von einer anderen Seite betrachtet könnte man aber durchaus behaupten, dass das Wissen, das die auf Vernunft basierende Wissenschaft schafft, ja auch nur deswegen als der Wahrheit näher liegend betrachtet wird, weil die Prämissen, aus denen sich diese Methoden der Wahrheitsergründung entwickelt habe, als prestigeträchtiger erwiesen haben. Warum dem so ist würde jedoch einer eingehenden Betrachtung benötigen und hier den Rahmen bei weitem sprengen.

Möglicherweise eignet sich die Wissenschaft aufgrund ihrer internen Struktur tatsächlich besser als Lingua Franca, aber ebenso wie man nicht vergessen darf, dass auch die Vorherrschaft des Englischen nicht losgelöst vom Politischen zu betrachten ist, so darf man das Politische bei der Betrachtung der Wissenschaft nicht aus den Augen verlieren. Und ebenso, wie die Sprachwissenschaft danach trachtet, im Dienste der Wahrheitsfindung möglichst viele Sprachen zu kennen, zu verstehen und am Leben zu erhalten, sowie die Entstehung neuer Sprachen zu erforschen und losgelöst vom Stigma der Häresie als Wissensquelle zu betrachten, so sollten auch die Sprachen der Wissenschaft und der Religion, sowie der Politik (denn auch Kontext ist ein Text, und ein Text hat eine Sprache!) und all der anderen Sprachen - wie auch in der Linguistik scheint man oft zu vergessen, dass es neben den grossen Sprachen wie Englisch, Französisch, Arabisch und Chinesisch noch Unmengen von Dialekten und Sprachfamilien gibt - sich auf das Potenzial berufen, das in den Unterschieden steckt, und nicht danach trachten, einander die Köpfe einzuschlagen.

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